Israelweb
Israel für Einsteiger

Logo DIG Jugendforum 
ein Service für das
Jugendforum
der Deutsch-Israelischen Gesellschaft AG Hamburg

Erfahrungsbericht Israel-Austausch 1999

Gymnasium Oberalster / Kooperative Gesamtschule Schneverdingen – Mikve Israel
20. März – 3. April 1999

Schlafen, nur noch schlafen – darauf hatten sich unsere Gedanken reduziert, als wir todmüde in Hamburg ankamen; die Fülle der Erinnerungen sollte sich erst nach und nach wieder entwirren. Wir: das sind elf Hamburger, neun Schneverdinger und drei Teterower SchülerInnen plus zwei Lehrerinnen, die unbedingt nach Israel wollten. Gewisse Planungsschwierigkeiten will ich gar nicht erst erwähnen, denn schließlich saßen wir dann doch alle im Flugzeug nach Tel Aviv.

In Jerusalem angekommen erwartete uns gleich die erste (der zahlreichen!) Überraschungen: statt der versprochenen Kakerlaken in der Jugendherberge fanden wir ein Hotel mit Vier-Gänge-Menü vor, von dem aus wir die nächsten zwei Tage die Altstadt unsicher machten. Wir starteten auf dem Ölberg, wo uns das erste Mal der Unterkiefer runterklappte. Dieser Blick auf Jerusalem, in der Mitte Felsendom und Goldenes Tor, sollte für mich der stärkste Eindruck bleiben. Ich glaube, ich habe erst da begriffen, dass wir wirklich im Heiligen Land waren.

Jede einzelne besuchte Sehenswürdigkeit aufzuzählen, würde diesen Bericht sprengen; für Details verweise ich auf unser Tagebuch. Was viel wichtiger ist: Es ist uns trotz der Kürze der Zeit gelungen, in die Atmosphäre der Stadt einzutauchen – nicht zuletzt dank der Organisation, die uns sowohl einen Rundgang auf der alten Stadtmauer als auch einen Bummel durch den Basar in Kleingruppen ermöglichte.

Nach einem Zwischenstop in Bethlehem fuhren wir weiter nach Holon, wo unsere Gastfamilien auf uns warteten. Die Nervosität war natürlich groß, vor allem, da die meisten außer dem Namen nichts von ihrem Partner wussten. Obwohl alle sehr freundlich waren, fühlte man sich nach den drei Tagen in der Gruppe auf einmal etwas alleingelassen; dies gab sich jedoch schnell, zumal wir uns etwas später in einer Disco alle wiedertrafen: Durchschnittsalter 14, Zuckerwatte gratis...

In den nächsten Tagen unternahmen wir, teilweise auch mit unseren Partnern, Ausflüge nach Tel Aviv, Jaffa, Akko, Caesarea, Massada, ans Tote Meer und an den See Genezareth. Auch hier kann ich nur wieder auf das Tagebuch hinweisen!

Da unsere Partner untereinander gut befreundet sind, hatten sie für jeden Abend etwas gemeinsames organisiert: eine Party, Bowling, Kino, Falafelessen – außerdem haben wir so ziemlich jedes Einkaufszentrum in und außerhalb von Holon gesehen. Das freie Wochenende verbrachten die meisten in Tel Aviv am Strand und bei einem Picknick im Park. Kamen wir dann erschöpft und aufgrund der recht umfangreichen Lunchpakete pappsatt nach Hause, setzte man uns erst mal ein uns zu Ehren extra leckeres und extra großes Abendessen vor...

Nach den neun Tagen kam es uns so vor, als würden wir uns schon ewig kennen; dementsprechend traurig fiel dann auch der Abschied aus, die meisten Familien haben uns gleich für das nächste Jahr wieder eingeladen. Trotzdem freute sich alles auf die bevorstehende Erholung in Elat.

Dort war eigentlich nur eins geplant: Strand. Tja, den hatten wir auch – am Coral Beach sind wir zwischen Fischen, Kraken und Korallen umhergetaucht – aber irgendwie wurden die Nächte auch hier immer kürzer – oder länger, wie man will... Aus der Erholung zum Schluss wurde also nichts; Spaß hatten wir trotzdem (oder gerade deswegen). So machten wir uns dann erschöpft, aber glücklich auf den Nachhauseweg.

Nach ein paar Tagen zu Hause kamen auch langsam die Erinnerungen wieder; aufgrund der vielen Eindrücke war es vorgekommen, dass man am Abend nicht mehr wusste, was man am Morgen gesehen hatte. Als dann die Fotos entwickelt waren, entwirrte sich alles mit der Zeit, manche total vergessene Begebenheit tauchte wieder auf. Dabei zeigte sich wieder, was mir schon in Israel aufgefallen war: Meine Erinnerung an Israel verbinde ich viel mehr mit persönlichen Eindrücken als mit den typischen Touristenpunkten wie Felsendom, Geburts- oder Grabeskirche, die mir als Christin eigentlich etwas bedeuten sollten. Diese Orte sind für mich gute Beispiele dafür, wie man es nicht machen sollte; sie strahlen auch, so schien es mir, überhaupt keine Heiligkeit aus. Den prunkvoll eingebetteten Ring, um den herum sich Menschenmassen vollkommen unchristlich durchdrängeln, als die Stelle zu begreifen, an der einmal Jesus am Kreuz gehangen haben soll, will mir einfach nicht gelingen. Auf dem Ölberg aber oder an der Klagemauer, da habe ich gefühlt, das dies das Heilige Land ist.

Das Gefühl, keiner fremden, sondern vielmehr meiner eigenen Religion zu begegnen, wuchs, als ich die Sabbat- und Pessach-Zeremonie in meiner Familie miterlebte. Vorher wurde mir immer erklärt, was sie da taten und mit welchem Hintergrund – mit dem Hinweis, ich müsse es nicht mitmachen und könne es auch für seltsam halten. Ich glaube, ich muss wie blöde gegrinst haben, aber ich war einfach so glücklich, dass ich mitmachen durfte! In einem langen Gespräch mit meiner Gastschwester habe ich von meiner Religion erzählt, wie sie aus ihrer entstanden ist und dass mir daher ihre Bräuche bekannt sind – als sie am Ende festgestellt hat, dass wir ja fast dieselbe Religion haben, hätte ich sie umarmen können.

Eine ähnliche Aussage begegnete mir an anderer Stelle wieder: In Elat suchten wir lange nach einer bestimmten Synagoge und fragten verschiedene Leute, die aber alle entweder kein Englisch konnten oder uns in entgegengesetzte Richtungen schickten (oder beides). Als wir sie endlich gefunden hatten, sagte man uns, wir als Christen dürfen da am Sabbat nicht rein. Wir wollten gerade wieder abziehen, als sich ein anderer Mann einmischte. Der konnte leider auch fast kein Englisch, aber wir haben ihm unser Problem irgendwie begreiflich gemacht. Daraufhin teilte er uns mit einer brillanten schauspielerischen Leistung mit, dass Menschen manchmal Probleme mit anderen Religionen haben, Gott aber alle liebt ("People: Muslim? No! Elohim: love all!").

Israel war nicht ganz so, wie wir es erwartet hatten. Zum einen hatten wir es uns etwas orientalischer (sprich: weniger weit entwickelt) vorgestellt, mehr wie Jerusalems Altstadt, zum anderen hatte man wirklich Probleme, sich vorzustellen, dass in diesem Bus oder hinter der nächsten Ecke gleich eine Bombe losgehen könnte. In Holon fühlten wir uns so sicher wie in jeder anderen Stadt auch, und bei einer ganz normalen Busfahrt zum Kino fiel einem plötzlich siedendheiß ein, dass wir ja um Himmelswillen Busse, Einkaufszentren und andere öffentliche Plätze meiden sollten. Wir waren auch vor der heißen Wahlkampfzeit gewarnt worden, aber abgesehen von ein paar verteilten Aufklebern haben wir davon nichts mitbekommen. Trotz aller Sicherheitschecks (Taschenkontrollen vor jedem Einkaufszentrum und vor dem Tempelberg) und Soldaten an jeder Ecke, an die man sich sehr schnell gewöhnte, galt unsere Hauptangst den Taschendieben – aber auch in dieser Hinsicht ist uns nichts passiert.

Natürlich haben wir mit unseren Partnern auch über den Holocaust geredet, hauptsächlich nach dem gemeinsamen Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem. Wie viele andere habe ich mich am Anfang etwas schwer getan, da ich nicht wusste, wie sie reagieren würden, aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass diese Jugendlichen noch viel mehr als wir das ganze als Geschichte betrachten und trotz aller jährlichen Erinnerungen uns als Gleichaltrige damit nicht in Verbindung bringen. Ich erwähnte, wie ich jedes Mal auf eine Reaktion wartete, wenn ich erzählte, dass ich aus Deutschland komme, dass aber bis zu diesem Zeitpunkt keine gekommen sei – was mich etwas erstaunte. Sie berichteten im Gegenzug von all ihren Freunden, die uns so gerne kennenlernen würden und wie sich alle auf uns gefreut hätten. All das hat mich langsam zu der Erkenntnis gebracht, dass wir mit dem Umgang mit diesem Thema ein viel größeres Problem haben als sie. Interessanter Weise trauen sich einige unserer Partner gleichzeitig nicht, in Europa (Frankreich! ) zu sagen, dass sie aus Israel kommen – aus Angst vor Neonazis.

Soviel zu meinen persönlichen Erfahrungen – bleibt noch zu erwähnen, dass wir uns alle auf die nächste Woche freuen, wenn die Israelis zu uns kommen; hoffentlich werden wir noch einmal so viel Spaß haben.

Israel ist in jedem Fall eine weitere Reise wert!

Dorothea Beck 1999



http://www.klartexxt.de/israel/
überarbeitet 2015-03-23 von Stefan Ahlswede